FGM/C-Fachtag für Fachkräfte
Dokumentation der Veranstaltung vom 6.10.2021
Unzählige Mädchen und Frauen weltweit werden Opfer von Genitalbeschneidung. Eine grausame Praxis, die auch hierzulande zunehmend zum Thema wird. Um Betroffene effektiv beraten oder Bedrohte schützen zu können, braucht es Fachkräfte, die auch im kultursensiblen Umgang oder rechtlichen Fragen geschult sind.
Dass großer Aufklärungsbedarf besteht, zeigte das Interesse am Online-Fachtag von IN VIA Bayern e.V.. Rund 350 Fachkräfte aus ganz Bayern – von Schwangerschaftsberatenden, Hebammen bis zu Migrationsberater*innen und Lehrer*innen – beschäftigten sich dabei in Vorträgen und Workshops mit Fragen rund um die weibliche Genitalbeschneidung.
Sozialministerin Carolina Trautner eröffnete als Schirmherrin die Veranstaltung.
Eröffnung und Begrüßung
Kick off Video: The other vulva (Sarah Fürstenberg/NALA e.V. und Plan International Deutschland)
Schirmherrin des Fachtages, Frau Staatsministerin Carolina Trautner (Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales) und Frau Adelheid Utters-Adam (1. Vorsitzende IN VIA Bayern e.V.) im Interview mit Melanie Wielens
Videointerview mit Frau Fadumo Korn (NALA e.V. /Donna Mobile AKA e.V.)
„Es gibt noch viele Lücken zu füllen“, sagte die gebürtige Somalierin Fadumo Korn, die sich seit Jahrzehnten stark macht gegen FGM/C, im Videointerview. Dazu gehöre auch der kultursensible Umgang mit betroffenen Frauen und Mädchen und vor allem ihre rechtliche Aufklärung. „Wir müssen die Politik in die Verantwortung nehmen“, so Fadumo Korn. Projekte im Kampf gegen FGM/C sollten langfristig angelegt und finanziell abgesichert sein, „bis wir keine Gefährdeten mehr hier haben.“
Vortragsreihe
Grundwissen zu FGM/C
Prof. Dr. Nicole Schmidt, Professorin für Gesundheitswissenschaften, Katholische Stiftungshochschule München
Was ist eigentlich FGM/C? Welche Formen (nach WHO) gibt es und welche medizinischen Auswirkungen drohen Betroffenen? Ein Blick auf Zahlen und Fakten.
Rechtliche Aspekte von FGM in Deutschland
Dr. Anna Lena Göttsche, Dozentin Frankfurt University of Applied Sciences,Frankfurt a.M., Fachbereich 4: Soziale Arbeit und Gesundheit
FGM/C ist strafbar und kann als Asylgrund angeführt werden. Davon bedrohte und betroffene Mädchen und Frauen müssen ihre Rechte jedoch kennen. Eine frühzeitige und bundesweit flächendeckende Beratung im Asylverfahren ist daher unerlässlich.
Soziokulturelle Bedeutung von FGM/C
Dr. Mariame Racine Sow, Geschäftsführerin von Forward for Women e.V.
Warum FGM/C – Die Gründe für die weibliche Genitalbeschneidung umfassen vielfältige kulturelle, soziale und religiöse Faktoren in Familie und Gesellschaft. Oft wird sie „aus Tradition“ durchgeführt und beispielsweise als eine notwendige Voraussetzung für eine Eheschließung angesehen.
Weibliche Genitalbeschneidung – Zur Perspektive betroffener Menschen
Prof. Dr. Isabelle Ihring, Professorin für Jugend und Soziale Arbeit, Evangelische Hochschule Freiburg
In der Arbeit gegen weibliche Genitalbeschneidung sollten gesellschaftliche und kolonial-rassistische Strukturen in Deutschland genauso wenig außer Acht gelassen werden wie die Perspektive und Wünsche der Betroffenen.
Regionales Vernetzungsinterval
Gut angenommen: 266 Teilnehmende nutzen das Angebot, sich in acht Gruppen regional zu vernetzen und auszutauschen.
Module
MODUL 1: FGM/C in der Schwangerschaftsberatung
Referentinnen der zwei Module: Rike Sindbert (ProFamilia Nürnberg) / Christine Brenner (Fachbereich Individuelle Geburtsvorbereitung Beratungsstelle für Natürliche Geburt und Elternsein e.V.)
Frauen, die von weiblicher Genitalbeschneidung betroffen sind, brauchen eine besondere Begleitung während der Schwangerschaft und der Geburt.
MODUL 2: FGM/C und Asylverfahren
Referentinnen: Referentin* (Wüstenrose, IMMA e.V., München)
Das Asylgesetz bietet die Möglichkeit, frauenspezifische Fluchtgründe als Asylgrund anzuerkennen. Dazu gehört FGM/C bzw. eine Gefährdung durch FGM/C für Töchter oder auch durch Nachbeschneidung. Was ist zu beachten?
MODUL 3: Kinder, Jugendliche und Eltern
Referent*innen der 2 Module: Amaal Said Mohamud (stop mutilation e.V., Düsseldorf) / Dr. Gwladys Awo (LESSAN e.V.)
FGM/C kann in jedem Fachbereich schnell zum Thema werden. Doch wie kann ich als Erzieher*in, Lehrer*in oder Sozialarbeiter*in in der Kinder- und Jugendhilfe die Gefährdungslage eines Mädchens richtig einschätzen, wie mit den Eltern darüber sprechen und die Betroffenen am besten erreichen?
MODUL 4: FGM/C in der medizinischen Praxis
Referentinnen: Prof. Dr. Nicole Schmidt (Professorin für Gesundheitswissenschaften, Katholische Stiftungshochschule München), Dr. med. Charlotte Amann (Fachärztin für Gynäkologie & Geburtshilfe, München)
Auch medizinisches Fachpersonal wird immer öfter mit FGM/C konfrontiert. Deshalb ist es wichtig, Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten zu kennen bzw. kultursensibel präventiv tätig zu werden.
MODUL 5: Operative Versorgung
Referentin: Dr. med. Maryam En-Nosse (Funktionsoberärztin, Universitätsklinikum Freiburg, Klinik für Frauenheilkunde)
Hoffnung für Frauen, die oft ein Leben lang an den körperlichen und seelischen Folgen von FGM/C leiden: Eine operative Versorgung ist möglich.
MODUL 6: Sprach- und Kulturmittlerinnen in der FGM/C-Prävention
Referentinnen: Fadumo Korn, Klara Paal, Julie Mimbang (Donna Mobile AKA e.V., München)
Sprach- und Kulturmittlerinnen bilden die Schnittstelle zwischen Klient*innen und medizinischem, psychologischem oder sozialpädagogischem Fachpersonal.
MODUL 7: FGM/C ist eine Männer-Angelegenheit
Referent: Ibrahim Guèye (Jàppoo NRW e.V.)
Aufklärungsarbeit bei Männern aus den Prävalenzländern erscheint mindestens genauso so wichtig wie bei Frauen, denn ohne sie ist ein gesellschaftlicher Wandel undenkbar. Sie sind es, die sagen können: Wir wollen keine beschnittenen Frauen heiraten! Und sie können auch ihre Töchter schützen.
MODUL 8: Offener Austausch für Fachkräfte mit relativ wenig FGM/C-Erfahrung
Referent*innen der 2 Module: Tanja Sachs, Sarah Keller (Wüstenrose, München) und Edell Otieno-Okoth (Plan International Deutschland)
Um FGM/C nachhaltig zu verhindern, braucht es mehr Öffentlichkeit, eine bessere Aufklärung sowie die Sensibilisierung all jener, die mit (potentiellen) Opfern berufsmäßig in Kontakt kommen können. Ein Überblick.
Video: Zusammenfassung der Ergebnisse aus den Modulen
Abschließendes Podium
Bericht aus den Modulen und Podiumsdiskussion mit Dr. Christiane Nischler-Leibl (Leiterin Bayerisches Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales, Abteilung VI "Frauenpolitik, Gleichstellung und Prävention"), Gwladys Awo (1. Vorsitzende LESSAN e.V.), Prof. Dr. Nicole Schmidt (Professorin, Katholische Stiftungshochschule München), Rita Schulz (Geschäftsführerin IN VIA Bayern e.V.)
Wie der Kampf gegen FGM/C gelingen kann, wurde auch im abschließenden Podiumsgespräch diskutiert. Dabei machte Gwladys Awo, 1. Vorsitzende des Vereins Lessan e.V., deutlich, dass gerade kleinere Verbände und Aktivist*innen in Communities, die bereits in diesem Bereich aktiv sind, finanziell gestärkt werden müssten, „sie sitzen an der Quelle.“ Awo warnte gleichzeitig davor, „nur“ gegen FGM/C agieren zu wollen. Um betroffene Frauen zu erreichen und zu unterstützen, brauche es vor allem deren berufliches Empowerment, „man muss ihnen eine Ausbildung bieten, damit sie eine Perspektive haben und drängende existentielle Probleme lösen können.“
Video: Plenum zu den Ergebnissen und Ausblick
Weitere Informationen
Pressemitteilung vom 6.10.21 zum FGM/C Fachtag
Pressemitteilung vom 22.10.21 zum FGM/C-Fachtag
Quantitative Daten zu den Teilnehmenden
Dieses Projekt wird aus Mitteln des Bayerischen Staatsministeriums für Familie, Arbeit und Soziales gefördert